Zwischen Nostalgie und Erschöpfung: Der gefährliche Charme der „Trad Wife“-Illusion

Ein Essay über den neuen Kult der Häuslichkeit, psychologische Sehnsucht und die stille Erschöpfung der modernen Frau

Auf einer Social Media Platform lächelt eine junge Frau in eine weiche Nachmittagssonne.
Sie trägt ein geblümtes Kleid, das Haar zu einem makellosen Dutt gesteckt, in der Hand ein frisch gebackenes Brot. Hinter ihr: ein weiss gestrichenes Haus, eine Küche voller Ordnung, Kinder in Leinenkleidern. In der Bildunterschrift steht:

„Feminine energy. Family. Faith.“
Hunderttausende Likes. Milionen Followers.

Was auf den ersten Blick wie harmlose Nostalgie wirkt, ist Teil eines Phänomens, das sich seit einigen Jahren rasant verbreitet: der „Trad Wife“ Trend. Junge Frauen, vor allem in den USA, inszenieren sich als Verkörperung traditioneller Weiblichkeit, hingebungsvoll, häuslich, religiös, ganz im Dienst von Familie und Ehemann. Sie lehnen den Feminismus ab, propagieren Unterordnung als Tugend und die Rückkehr zur „natürlichen“ Rolle der Frau.

Doch hinter der weichen Ästhetik aus Pastelltönen und Küchenidyll verbirgt sich eine gesellschaftliche Dynamik, die zugleich alt und neu ist: eine Mischung aus psychologischer Überforderung, kultureller Sehnsucht und ideologischer Inszenierung.

Die Ästhetik der Rückkehr

Die „Trad Wife“ ist keine einfache Hausfrau. Sie ist ein Content-Konzept.
Ihr Leben wird in ästhetischen Clips verdichtet: Brot backen, Kinder stillen, Gartenarbeit, begleitet von nostalgischer Musik. Diese Bilder beschwören das Ideal einer Zeit, in der alles „klar“ schien: die Frau zu Hause, der Mann als Versorger, die Familie als feste Ordnung.

Doch diese Harmonie ist eine digitale Konstruktion. Das Trad-Wife-Universum funktioniert nach denselben Regeln wie jede andere Social-Media-Sphäre: Aufmerksamkeit, Algorithmus, Monetarisierung. Es verkauft eine Vision, die emotional anspricht, gerade weil sie im Kontrast zur erschöpften Realität vieler Frauen steht.

Psychologisch gesehen erfüllt diese Ästhetik eine tiefsitzende Sehnsucht. Nach Ruhe. Nach Sinn. Nach einem klaren Platz in einer komplexen Welt. Nach einem Leben, das nicht ständig Selbstoptimierung verlangt.

Überforderung und Regression

Die Soziologin Arlie Hochschild beschrieb bereits in den 1980er Jahren in The Second Shift, wie Frauen trotz formaler Gleichberechtigung eine „zweite Schicht“ der unsichtbaren Arbeit übernehmen, Kinder, Haushalt, emotionale Fürsorge. Daran hat sich wenig geändert.

Laut aktuellen Studien der American Psychological Association (2022) berichten Frauen deutlich häufiger von chronischer Erschöpfung, mentaler Überlastung und Identitätskonflikten zwischen Beruf und Familie.

In diesem Klima wächst die Versuchung, Verantwortung abzugeben, sich in eine klare, alte Ordnung zurückzusehnen. Die Psychoanalytikerin Karen Horney nannte das schon 1937 ein „regressives Coping“: Wenn die Welt überfordert, flüchten wir in Unterordnung, um Sicherheit zu finden.

Die „Trad Wife“ ist damit weniger ein Symbol von Rückschritt als ein Symptom der Erschöpfung.
Sie verkörpert eine psychologische Reaktion auf das Dauerrauschen der Moderne: auf den Zwang zur Selbstverwirklichung, zur Produktivität, zur individuellen Perfektion.

Die Ökonomie der Unterwerfung

Das Idyll hat auch eine materielle Seite. Viele Trad-Wife-Influencerinnen verdienen Geld mit Kochbüchern, Online-Kursen, Werbung für Mode oder Haushaltswaren. Der Lifestyle wird zur Marke. Weibliche Selbstaufgabe wird professionalisiert, als „feminine empowerment“.

Hier schliesst sich der Kreis zwischen Kapitalismus und Patriarchat: Die Frau wird zur Projektionsfläche einer moralischen Reinheit, aber auch zur perfekten Konsumentin. Sie produziert Content, verkauft Produkte, pflegt den Mythos der Selbstlosigkeit, und wird dafür in Klicks und Sponsorings entlohnt.

Die Soziologin Eva Illouz schreibt in Warum Liebe weh tut, dass romantische Ideale in modernen Gesellschaften als Kompensation für ökonomische Unsicherheit dienen. Die „Trad Wife“ bietet genau das: emotionale Stabilität in einem instabilen System. Aber sie tut es, indem sie Kontrolle abgibt, an den Mann, an die Familie, an die Tradition.

Die doppelte Täuschung

Das Tragische ist: Die moderne „Trad Wife“ ist oft gar keine traditionelle Hausfrau.
Sie ist eine Hausfrau plus Unternehmerin, gefangen in einem noch härteren Kreislauf von Arbeit, Selbstvermarktung und Selbstaufopferung. Sie stillt ein Kind, während sie den nächsten Reel schneidet; sie backt Brot, aber das Brot ist Content. Ihre Küche ist Studio, ihre Familie Marke. Viele dieser Frauen arbeiten nicht zehn oder zwölf, sondern bis zu zwanzig Stunden am Tag – tagsüber Mutter, nachts Influencerin, Managerin, Buchhalterin. Manche haben sechs, sieben, acht Kinder und zugleich den Druck, finanziell beizutragen oder gar das Familieneinkommen durch ihre Online-Präsenz zu sichern.

Das ist kein Rückzug in die Vergangenheit, sondern eine Verdopplung des Leistungsdrucks.
In der vermeintlich traditionellen Rolle steckt ein modernes Paradox: Frauen, die sich der alten Ordnung hingeben, um Ruhe zu finden und dabei in eine noch brutalere Form der Selbstverausgabung geraten. Das betrifft längst nicht nur die USA. Auch in Deutschland, Österreich oder der Schweiz wächst eine Szene von Frauen, die zwischen Homeschooling, Content-Produktion und Familienlogistik zerrieben werden, getrieben von demselben Leistungsimperativ, den sie eigentlich hinter sich lassen wollten.

Ideologische Hintergründe

Hinter den Hashtags verbirgt sich mehr als blosse Nostalgie. Mehrere Analysen, darunter Rebecca Lewis’ Studie „Alternative Influence Network“ (2018), zeigen, wie rechte und religiös-fundamentalistische Bewegungen gezielt weibliche Influencerinnen einsetzen, um konservative Werte zu normalisieren.

Diese Frauen treten als „authentisch“ und „unpolitisch“ auf, verbreiten jedoch subtile Botschaften: die Ablehnung von Feminismus, das Misstrauen gegenüber Gleichstellung, die Idealisierung männlicher Autorität. In den Kommentarspalten verschwimmen Lifestyle und Ideologie, sanfte Bilder werden zur Einfallstür für politische Rückwärtsbewegung.

So wird der Körper der Frau zum Symbolfeld kultureller Kontrolle: zwischen Sehnsucht und Disziplin, zwischen Idealisierung und Erschöpfung.

Macht, Geld und das schöne Gesicht der Ideologie

Hinter der glänzenden Oberfläche dieser Familien steckt oft eine ökonomische und symbolische Hierarchie. Die Männer – ob tatsächlich wohlhabend oder nur strategisch als solche inszeniert, kontrollieren die Marke. Sie treffen die Entscheidungen, verhandeln mit Sponsoren, steuern die Einnahmen. Die Frau ist das Image, die lebende Werbefigur, das emotionale Kapital. Selbst dort, wo der Reichtum begrenzt ist, wird die patriarchale Ordnung performativ aufrechterhalten: Er führt, sie verkörpert.

Nicht selten fliesst zusätzlich Geld aus konservativen Netzwerken oder Think Tanks, die diese Familien gezielt unterstützen. Ihr Ziel: traditionelle Rollenbilder modern zu verpacken und damit ideologische Werte über Lifestyle-Content in den Mainstream zu schleusen. So wird aus dem privaten Familienidyll ein politisches Projekt, eine perfekt gefilterte Fassade, die sich als persönliche Wahl tarnt, in Wahrheit aber Teil eines grösseren Systems ist, das alte Machtstrukturen neu legitimiert.

Die Sehnsucht nach Einfachheit

Aber warum spricht das so viele Frauen an, auch jene, die sich selbst als unabhängig sehen?

Weil die Freiheit der Moderne anstrengend ist.

Weil Gleichberechtigung in neoliberalen Gesellschaften selten bedeutet, weniger Druck zu haben, sondern mehr: Karriere, Familie, Perfektion, Selbstliebe.

Die Soziologin Jennifer Petriglieri (INSEAD) fand in ihrer Studie über berufstätige Paare (Couples That Work, 2019), dass Frauen trotz akademischer Erfolge häufiger den beruflichen Rückzug antreten, sobald Kinder kommen. Nicht aus Zwang, sondern aus Erschöpfung, weil Strukturen fehlen, die Gleichberechtigung real ermöglichen.

Der Trad-Wife-Lifestyle bietet hier ein scheinbar sanftes Gegenbild: Entschleunigung, Sinn, Familie. Doch diese „Freiheit von der Freiheit“ ist trügerisch. Sie verspricht Ruhe, um den Preis der Selbstbestimmung.

Das Dilemma der modernen Frau

Es wäre zu einfach, die „Trad Wives“ zu verurteilen. Viele von ihnen suchen schlicht nach einem Lebensmodell, das Geborgenheit erlaubt. Nach etwas, das die Rastlosigkeit des neoliberalen Ichs durchbricht.

Doch der Preis ist hoch. Die Romantisierung der Unterordnung verschleiert die strukturellen Ursachen weiblicher Erschöpfung. Sie individualisiert ein gesellschaftliches Problem und verkauft Anpassung als Lösung.

In Wahrheit, so könnte man sagen, sind viele dieser Frauen nicht „traditionell“, sondern verzweifelt modern: Sie reagieren auf den Burnout der Gleichberechtigung mit einer ästhetischen Rückkehr in die Vergangenheit.

Die algorithmische Verstärkung

Social Media spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Social Media-Algorithmus belohnt emotional aufgeladene Inhalte, egal, ob Bewunderung oder Empörung. Ein Video, das polarisierende Gefühle weckt, wird häufiger geteilt, kommentiert, weiterempfohlen.

So entsteht eine Echokammer, in der Frauen, die zunächst nur Rezepte oder Familienvlogs suchen, Schritt für Schritt mit ideologisch aufgeladenen Inhalten konfrontiert werden.
Die Grenzen zwischen „Wie man Sauerteigbrot backt“ und „Warum Feminismus Frauen unglücklich macht“ verschwimmen.

Der Trend wächst also nicht trotz, sondern wegen der digitalen Logik. Was als harmlose Ästhetik beginnt, kann sich zu einem psychologischen Tunnel verengen, in dem Selbstaufgabe als Heilung erscheint.

Der Preis der Idylle

Viele Trad Wives berichten, seltener öffentlich, von chronischer Müdigkeit, Isolation, Depression. Ihre Körper sind erschöpft, ihre finanzielle Abhängigkeit gross. Der Alltag, der online als „natürlich“ erscheint, ist in Wahrheit ein Vollzeitjob ohne Pause, ohne Anerkennung, ohne Absicherung.

Die britische Schriftstellerin Katrine Marçal fasst es so:

„Die Frau, die der Mann ernährt, ist ein Mythos. In Wahrheit arbeitet sie unbezahlt und wird dafür romantisiert.“

Diese Romantisierung ist der Kern der Gefahr: Sie verwandelt strukturelle Ungleichheit in eine ästhetische Entscheidung.

Für eine neue Definition von Ruhe

Der Erfolg des Trad-Wife-Trends zeigt, dass viele Frauen heute etwas anderes vermissen als Gleichberechtigung: Sinn, Gemeinschaft, Entlastung. Das Problem ist nicht, dass jemand Hausfrau sein will. Das Problem ist, dass diese Wahl oft keine echte Wahl ist,  sondern eine Flucht aus Überforderung, verkauft als Tugend. Was wir brauchen, ist kein Rückschritt, sondern neue Formen von Ruhe, die ohne Unterwerfung auskommen. Echte Fürsorgepolitik. Flexible Arbeit. Gemeinschaftliche Kinderbetreuung. Männliche Verantwortung. Kurz: eine Gesellschaft, in der die Sehnsucht nach Sinn nicht in Selbstaufgabe münden muss.

Orientierungslosigkeit nach der Pandemie

Seit der Pandemie haben viele Menschen ein tiefes Gefühl der Verunsicherung erlebt, ökonomisch, sozial, existenziell. Die Jahre der Isolation und Instabilität haben den Wunsch nach Klarheit, Struktur und Zugehörigkeit verstärkt. In solchen Zeiten, in denen Orientierung fehlt, gewinnen einfache Antworten und starre Rollenbilder an Attraktivität.
Das erklärt, warum Bewegungen wie der „Trad Wife“-Trend, aber auch rechtspopulistische und fundamentalistische Strömungen, nach der Pandemie neuen Zulauf bekommen: Sie bieten Ordnung, wo Chaos herrscht und verwandeln Angst in Ideologie.

Die Einsamkeit als Nährboden

Vielleicht liegt der tiefere Grund für all das in einer Kultur wachsender Einsamkeit. Unsere Gesellschaft zerfällt zunehmend in atomisierte Existenzen, jeder kämpft allein um Sinn, um Zugehörigkeit, um Halt. Diese emotionale Leere ist der ideale Nährboden für Bewegungen, die Nähe und Ordnung versprechen. Doch die „Trad Wife“-Ideologie bietet keine echte Gemeinschaft, sondern eine Inszenierung davon. Sie ersetzt Bindung durch Performance, Solidarität durch Markenbildung.

Die Antwort auf Einsamkeit darf nicht in einer Rückkehr zu Unterordnung liegen, sondern in politischen und sozialen Strukturen, die echte Verbindung ermöglichen: soziale Unterstützung, mentale Gesundheitsversorgung, Bildung, Partnerschaft auf Augenhöhe. Wir brauchen Bewusstmachung, Aufklärung, Forschung, nicht die Ausbeutung junger Frauen, die auf Social Media zum Symbol einer falschen Erlösung werden.

Denn die Plattformen, die diese Bilder millionenfach verbreiten, sind nicht neutral. Sie leben von emotionaler Abhängigkeit und sie werden, solange wir sie unreguliert lassen, eine der grössten Bedrohungen für unsere mentale Gesundheit bleiben.

Der Traum von der perfekten Hausfrau, die Brot bäckt und sich im Schatten eines starken Mannes erfüllt, ist verführerisch, weil er Ordnung verspricht. Aber Ordnung ohne Freiheit ist Stillstand.

Vielleicht ist der wahre Ausweg aus der Erschöpfung nicht, in die 1950er zurückzukehren, sondern endlich die Gleichberechtigung zu vollenden, die nicht auf Selbstaufopferung, sondern auf geteilter Verantwortung beruht.

Am Ende geht es nicht darum, ob eine Frau in der Küche steht, Kinder grosszieht oder Karriere macht. Es geht darum, dass sie selbst darüber entscheiden kann, ohne Manipulation, ohne Druck, ohne Idealisierung. Wenn eine Frau mit Überzeugung zu Hause bleibt, verdient sie Respekt. Wenn sie keine Kinder will, ebenso. Feminismus war nie die Verpflichtung zur Erwerbsarbeit, sondern die Möglichkeit, ein Leben zu führen, das nicht von den Erwartungen anderer bestimmt wird.

Das Entscheidende ist, dass sie sich dabei nicht verliert, dass sie gesund bleibt, ihren Körper nicht opfert, und sich nicht zum Symbol fremder Agenden machen lässt. Emanzipation heisst nicht, alles zu tun, sondern das Richtige für sich selbst zu tun, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Die Zukunft der Frau liegt nicht im Rückzug in die Küche. Sondern in der Freiheit, dort zu stehen, wo sie wirklich sein will, ohne dass es eine Ideologie daraus macht.

Literaturverzeichnis:

American Psychological Association. (2022). Social media use and women’s mental health: A meta-analysis of emotional impact. APA Press.

Hochschild, A. R. (1989). The second shift: Working parents and the revolution at home. Viking.

Horney, K. (1937). The neurotic personality of our time. W. W. Norton.

Illouz, E. (2011). Warum Liebe weh tut: Eine soziologische Erklärung. Suhrkamp.

Lewis, R. (2018). Alternative influence: Broadcasting the reactionary right on YouTube. Data & Society Research Institute.

Marçal, K. (2015). Who cooked Adam Smith’s dinner? A story about women and economics. Pegasus Books.

Petriglieri, J. (2019). Couples that work: How dual-career couples can thrive in love and work. Harvard Business Review Press.

Pew Research Center. (2023). Women, work and family in the post-pandemic era. Pew Research.

Zuboff, S. (2019). The age of surveillance capitalism. PublicAffairs.

Geschrieben von Mara Schär

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