Warum Social Media für Kinder verboten werden sollte: Ein Blick auf Australien und wissenschaftliche Hintergründe

Australien hat begonnen, den Zugang zu Social Media für Kinder zu regulieren und in bestimmten Fällen sogar zu verbieten. Diese Entscheidung basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigen, dass Social Media erhebliche psychische und physische Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben kann. Dieser Artikel beleuchtet die Gründe und Studien, die zu solchen Massnahmen führen sollen.

1. Psychische Auswirkungen und der Vergleichswahn

Besonders junge Mädchen sind anfällig für die negativen Auswirkungen von Social Media. Studien zeigen, dass die ständige Konfrontation mit bearbeiteten und oft unrealistischen Darstellungen auf Plattformen wie Instagram und TikTok zu erhöhten Vergleichsdenken, Selbstwertproblemen und sogar Depressionen führen kann. Laut einer Studie von Twenge und Martin (2018) steigt das Risiko für depressive Symptome und Angstzustände bei Jugendlichen, die täglich mehr als drei Stunden auf Social Media verbringen.

Mädchen sind davon besonders betroffen, da sie stärker auf soziale Vergleiche reagieren und sich leicht durch perfekt inszenierte Bilder beeinflussen lassen. Ein Vergleich wird zum ständigen Begleiter, und das Selbstwertgefühl leidet, weil sie ihre Realität nicht an diese Scheinwelten anpassen können. Jungen sind ebenfalls betroffen, aber in anderen Bereichen, wie etwa beim Leistungsdruck und der Darstellung von "Männlichkeit".

Charakter ist auch wichtig:

Eine Studie zeigt, dass Personen mit einem hohen neurotischen Charakter, die mehr als 300 Minuten täglich in sozialen Medien verbringen, ein doppelt so hohes Risiko haben, an Depressionen zu erkranken, als Personen mit niedriger Neurotizität. Darüber hinaus haben Menschen mit hoher Zustimmungsfähigkeit ein 49 Prozent geringeres Risiko für Depressionen im Vergleich zu Personen mit niedriger Zustimmungsfähigkeit.

Social Media verstärkt problematische soziale Vergleiche, was zu einem Anstieg negativer Gefühle führen kann. Dies erklärt, warum das Risiko einer Depression mit zunehmender Social-Media-Nutzung wächst. Zusätzlich fördern vorwiegend negative Inhalte auf diesen Plattformen depressive Verstimmungen und verstärken Gefühle der Isolation. Die intensive Nutzung sozialer Medien verringert ausserdem die Zeit und Gelegenheiten für persönliche Interaktionen und Aktivitäten im echten Leben, was die psychische Gesundheit weiter beeinträchtigen kann.

Ursache oder Effekt?

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Frage, ob Social Media eher die Ursache oder der Effekt von Depressionen ist. Eine Studie, die im Fachjournal JAMA Network Open veröffentlicht wurde, untersuchte 5.395 Erwachsene im Durchschnittsalter von 56 Jahren. Die Ergebnisse zeigen, dass Nutzer von Plattformen wie Facebook, TikTok und Snapchat häufiger von Depressionen betroffen sind als Personen, die keine sozialen Medien nutzen. Allerdings bleibt unklar, ob Social Media tatsächlich Depressionen verursacht oder ob Menschen, die bereits depressive Tendenzen haben, häufiger zu sozialen Medien greifen. Die Forscher vermuten, dass beide Faktoren sich gegenseitig verstärken können, was die psychischen Auswirkungen sozialer Medien komplex und schwer abgrenzbar macht.

2. Fehlendes Differenzierungsvermögen und problematische Inhalte

Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren haben oft noch kein vollständig entwickeltes Differenzierungsvermögen. Sie können nicht klar zwischen glaubwürdigen und fragwürdigen Informationen unterscheiden, was sie anfällig für Fehlinformationen, Propaganda und manipulierte Inhalte macht. Laut Piaget's Theorie der kognitiven Entwicklung erreichen Jugendliche erst im Alter von etwa 16 Jahren die Fähigkeit zu abstraktem und kritischem Denken.

Darüber hinaus gibt es auf Social Media Plattformen zahlreiche Gefahren. Pornografie, Glücksspiel und betrügerische Inhalte sind nur einige der problematischen Bereiche, auf die Kinder stossen können. Nicht alle Eltern sind sich dieser Risiken bewusst oder haben selbst Erfahrung mit Social Media, was es schwierig macht, ihre Kinder angemessen zu schützen. Viele Kinder geraten so in gefährliche Situationen, ohne dass ihre Eltern dies bemerken.

3. Zeitverlust und fehlende Kreativität

Ein weiterer Aspekt, der gegen die Nutzung von Social Media bei Kindern spricht, ist der enorme Zeitverlust. Die Kinder verbringen Stunden damit, durch endlose Feeds zu scrollen, wodurch sie wertvolle Zeit für andere Aktivitäten, Lernen oder soziale Interaktionen verlieren. Studien zeigen, dass Kinder, die Social Media intensiv nutzen, weniger kreativ sind, weil ihnen die "Langeweile" fehlt, die Kreativität fördern kann. Wenn Kinder stets unterhalten werden, entfällt die Zeit, in der sie kreativ werden und eigene Ideen entwickeln könnten.

Social Media aktiviert zudem das Belohnungssystem im Gehirn, was zu einer Art Abhängigkeit führt. Die schnellen und einfachen Belohnungen durch Likes und Kommentare sind für das menschliche Gehirn verlockend und schwer durch langfristigere, aber weniger unmittelbare Belohnungen zu ersetzen. Dieses Phänomen gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene, weshalb die Problematik umso besorgniserregender ist.

4. Unzureichende und oft irrelevante Informationen

Ein Grossteil der Inhalte auf Social Media Plattformen sind "Junk-Informationen" – Inhalte, die weder relevant noch wertvoll sind. Dieser ständige Fluss irrelevanter Informationen führt zu einer Überreizung und verhindert, dass Kinder sich auf bedeutungsvollere und tiefere Themen einlassen. Das "Automatisierungsparadoxon" beschreibt die Tatsache, dass durch die ständige Verfügbarkeit von Informationen das eigene Wissen und das kritische Denken abnehmen, da die Information passiv aufgenommen wird, ohne sie zu hinterfragen.

5. Moralische Anstecktung

Was versteht man unter moralischer Ansteckung?
Moralische Ansteckung, auch bekannt als soziale Ansteckung, beschreibt ein Phänomen, bei dem das Verhalten und die Einstellungen einer Person durch das Verhalten und die Meinungen anderer in ihrer Umgebung beeinflusst werden. Dieser Einfluss kann positive, aber auch negative Auswirkungen haben. Im Kontext der Verbreitung von Fake News spielt moralische Ansteckung eine eher problematische Rolle, da Menschen oft von den Meinungen und Handlungen ihrer Freunde und Bekannten beeinflusst werden und dabei weniger auf Tatsachen achten.

Wie beeinflusst moralische Ansteckung die Verbreitung von Fake News?
Die Verbreitung von Fake News auf sozialen Medien ist oft eine direkte Folge moralischer Ansteckung. Ein typisches Beispiel ist der sogenannte Bestätigungsfehler (Confirmation Bias), bei dem Menschen dazu neigen, Informationen zu akzeptieren, die mit ihren eigenen Überzeugungen übereinstimmen. Dies führt dazu, dass viele Menschen ungeprüfte Informationen weiterverbreiten, wenn diese zu ihren eigenen Meinungen passen, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.

Das Foto verdeutlicht die Auswirkungen moralischer Ansteckung
Auf diesem Bild wird sichtbar, wie moralische Ansteckung funktioniert: Menschen neigen dazu, in ihrer eigenen Meinungsecke (Bubble) zu bleiben, während andere Meinungen aussen vor bleiben. Dies zeigt, wie stark soziale Medien zur Polarisierung beitragen und wie sehr sie uns von einer objektiven Realität entfernen können. Jeder lebt in gewisser Weise in seiner eigenen, subjektiven Wirklichkeit – und das verstärkt sich in sozialen Medien enorm.

6. Gesundheitliche Auswirkungen durch den exzessiven Einsatz digitaler Geräte

Neben den psychischen Effekten gibt es auch ernsthafte gesundheitliche Risiken durch die intensive Nutzung digitaler Geräte:

  • Schlafstörungen: Durch das blaue Licht der Bildschirme wird das Schlafhormon Melatonin unterdrückt, was den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus stört. Dies kann besonders bei Jugendlichen zu Schlafproblemen führen. Nicht nur das blaue Licht, sondern künstliches Licht im Allgemeinen kann den Schlaf negativ beeinflussen. Laut Studien der Harvard Medical School kann blaues Licht den Einschlafzeitpunkt um bis zu 3 Stunden verzögern, während normales künstliches Licht eine Verzögerung von etwa 1,5 Stunden verursacht. Dies liegt daran, dass blaues Licht die Melatoninproduktion im Körper besonders stark unterdrückt und dadurch den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus stört.
  • Bewegungsmangel: Die Zeit vor Bildschirmen führt zu einem zunehmend sesshaften Lebensstil, was das Risiko für Fettleibigkeit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und muskuläre Probleme erhöht.
  • Ungesunde Essgewohnheiten: Lange Bildschirmzeiten sind mit einem Anstieg des Konsums von Junk Food, zuckerhaltigen Getränken, Energy Drinks und Koffein verbunden, was wiederum die Gesundheit negativ beeinflussen kann.

7. Der "Always-On" Lebensstil und Stress

In unserer 24/7-Gesellschaft wird durch die ständige Erreichbarkeit ein "Always-On" Lebensstil gefördert, was zu Stress und dem Gefühl führt, immer verfügbar sein zu müssen. Dies gilt auch für Jugendliche, die oft unter dem Druck stehen, sofort auf Nachrichten zu reagieren oder immer auf dem neuesten Stand zu sein. Diese Form des Stresses wird durch den Mangel an Grenzen zwischen Freizeit und digitaler Welt verstärkt und kann zu Burnout-ähnlichen Zuständen führen.

Laut einer Studie von Zapf & Sommer (2004) kann chronischer Stress indirekt zu gesundheitlichen Problemen führen, was auch auf den übermässigen digitalen Stress bei Jugendlichen übertragbar ist.

8. Vorteile & Nachteile

Obwohl Social Media auch Vorteile bietet, insbesondere für ältere Nutzer, sollten diese nicht überbewertet werden – insbesondere im Vergleich zu den Nachteilen für junge Menschen unter 16 Jahren. Plattformen fördern bei älteren oder jüngere Nutzern oft Kreativität durch das Erstellen von Bildern, Videos und Texten. Ausserdem können unterstützende Communities helfen, mentale Gesundheit zu stärken, und Social Media bietet wertvolle Marketingmöglichkeiten für kleine und grosse Unternehmen. Sie bieten auch die Möglichkeit, mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben, sich über aktuelle Themen zu informieren und sogar Karrieren zu starten. 

Dennoch wiegen diese Vorteile die erheblichen Risiken, die Social Media für Kinder und Jugendliche birgt, nicht auf. Gerade für die jüngere Generation sind die negativen Effekte auf psychische und physische Gesundheit, die Förderung von Vergleichen und die Abhängigkeit von schnellen Belohnungen weitaus bedeutsamer.

9. Herausforderungen der Regulierung

Die Regulierung von Social Media für Kinder und Jugendliche bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich. Viele junge Menschen werden versuchen, solche Beschränkungen zu umgehen, sei es durch gefälschte Altersangaben oder über den Zugang über die Konten von Familienmitgliedern. Dennoch gibt es vielversprechende Lösungen und Ansätze, um diese Hürden zu überwinden. Die Identifikation über offizielle Ausweisdokumente (ID) oder spezielle Altersverifikationssysteme könnte beispielsweise sicherstellen, dass nur zugangsberechtigte Altersgruppen bestimmte Inhalte nutzen dürfen. Auch Techniken zur Gesichtserkennung oder biometrische Altersprüfungen werden als potenzielle Werkzeuge in Betracht gezogen. Es wird entscheidend sein, durchdachte Massnahmen zu entwickeln, die einerseits Schutz bieten und andererseits die Privatsphäre der Nutzer respektieren.

10. Zusammenfassung & Forschungsbedarf

Australien hat einen mutigen Schritt unternommen, um Kinder vor den negativen Auswirkungen von Social Media zu schützen. Die Gefahren sind vielfältig und reichen von psychischen Belastungen wie Depressionen und niedrigem Selbstwertgefühl bis hin zu physischen Gesundheitsproblemen. Social Media birgt für Kinder das Risiko, sich in einem endlosen Zyklus von Vergleichen und Belohnungen zu verlieren, ohne eine echte Basis für Selbstwert und Kreativität zu entwickeln. Ein kontrollierter Umgang mit Social Media oder sogar ein Verbot für jüngere Nutzer kann dabei helfen, die gesunde Entwicklung von Kindern zu fördern und sie vor unnötigen Risiken zu bewahren.

Es wird deutlich, dass weiterer Forschungsbedarf besteht, um die komplexen Einflüsse von Social Media auf die psychische Gesundheit umfassend zu verstehen. Zukünftige Studien sollten untersuchen, welche Aspekte der Nutzung besonders schädlich sind und wie eine effektive Regulierung aussehen könnte – sowohl in Bezug auf die Inhalte als auch auf die tägliche Nutzungsdauer, die ohne grössere Gefahren für die psychische Gesundheit bleibt.

Auch Erwachsene sind nicht immun gegen die negativen Auswirkungen, weshalb eine klare Orientierung und gezielte Massnahmen notwendig wären, um langfristige Schäden zu verhindern. Solche Regulierungen könnten beispielsweise altersgerechte Einschränkungen und Empfehlungen für eine gesunde Bildschirmzeit umfassen, die sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene schädliche Auswirkungen minimieren.

Quellen:

Geschrieben von Mara Schär

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