Unsicher vermeidende Bindung, unsicher ambivalente Bindung - Folgen im Erwachsenenalter

Wir alle tragen die Spuren unserer Vergangenheit mit uns herum – insbesondere wenn es um Beziehungen geht. Vielleicht haben Sie schon einmal bemerkt, dass Ihre Beziehungen in der Vergangenheit oft nicht von langer Dauer waren. Vielleicht haben Sie das Gefühl, dass Sie keine feste Bindung aufrechterhalten können, egal wie sehr Sie es versuchen. Oder vielleicht haben Sie eine wiederkehrende Unsicherheit erlebt, die wie ein Schatten über Ihren zwischenmenschlichen Verbindungen hängt.

In der komplexen Welt der zwischenmenschlichen Beziehungen gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die Einfluss darauf nehmen, wie wir uns verbinden, kommunizieren und harmonieren. Einer dieser Faktoren ist die Art der Bindung, die wir in unserer frühen Kindheit zu unseren Bezugspersonen entwickeln. Menschen, die eine unsichere Bindung erfahren haben, können oft mit Schwierigkeiten in Beziehungen konfrontiert sein, die sich durch ständige Probleme und das Scheitern von Partnerschaften manifestieren. In diesem Blogartikel werfen wir einen näheren Blick auf die Gründe und Herausforderungen, mit denen Menschen mit unsicherer Bindung konfrontiert sein können, und erkunden Möglichkeiten, wie sie gesunde Beziehungen aufbauen können.

Was ist eine unsichere Bindung?

Die Bindungsforschung als eigenständige Disziplin der Psychologie ist relativ jung – sie hat sich im 20. Jahrhundert mit der Bindungstheorie nach John Bowlby und Mary Ainsworth entwickelt. 

Unsere Bindungsmuster werden in den frühen Lebensjahren geprägt, wenn wir mit unseren primären Bezugspersonen interagieren. Diese Muster beeinflussen, wie wir uns später in Beziehungen verhalten. Menschen mit unsicherer Bindung haben oft Schwierigkeiten, Vertrauen aufzubauen, Nähe zuzulassen und ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle angemessen auszudrücken. 

Es ist wichtig anzumerken, dass Bindungsstile nicht in Stein gemeisselt sind und sich im Laufe der Zeit ändern können, insbesondere wenn das Kind in eine sicherere und unterstützendere Umgebung kommt oder wenn die Eltern ihre Erziehungspraktiken anpassen. Sehr frühe Bindungserfahrungen können jedoch langfristige Auswirkungen auf die emotionale Entwicklung, Beziehungen und psychische Gesundheit haben.

In der Kindheit können verschiedene Arten von Bindungen zwischen Kindern und ihren Bezugspersonen entstehen:

  1. Sicher gebundene Bindung: Kinder mit einer sicheren Bindung fühlen sich wohl und sicher in der Nähe ihrer Bezugspersonen. Sie erkunden ihre Umgebung, aber kehren regelmässig zu ihren Eltern zurück, um sich zu beruhigen oder Nähe zu suchen. Sie vertrauen darauf, dass ihre Bedürfnisse erfüllt werden.

  2. Unsicher vermeidende Bindung: Kinder mit dieser Bindung meiden oder ignorieren oft ihre Eltern und zeigen wenig Reaktion auf Trennungen oder Wiedersehen. Sie könnten gelernt haben, ihre eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken, um nicht enttäuscht zu werden, oder könnten gelernt haben, dass Nähe und emotionale Abhängigkeit unzuverlässig sind.

  3. Unsicher ambivalente Bindung: Kinder mit dieser Bindung sind oft unsicher und ängstlich, selbst wenn ihre Eltern anwesend sind. Sie suchen ständig nach Nähe, sind aber schwer zu beruhigen und haben Schwierigkeiten, sich von der Bezugsperson zu lösen, um ihre Umgebung zu erkunden. Starke Bedürftigkeit und Unsicherheit, die durch inkonsistente Reaktionen der Bezugsperson entsteht. Diese Kinder könnten erlebt haben, dass Nähe unvorhersehbar ist und dass sie oft zurückgewiesen werden. 

  4. Desorganisierte Bindung: Dieser Bindungsstil ist durch widersprüchliche Verhaltensweisen gekennzeichnet, wie zum Beispiel Nähe suchen und gleichzeitig vor der Bezugsperson fliehen. Chaotisches, widersprüchliches Verhalten aufgrund einer verwirrenden, manchmal furchteinflössenden Bezugsperson. Kinder mit desorganisierter Bindung könnten in Umgebungen aufgewachsen sein, die unsicher oder sogar gefährlich waren, und haben Schwierigkeiten, kohärente Verhaltensmuster zu entwickeln. 

Klare Unterschiede

Unsicher-vermeidende, unsicher-ambivalente und desorganisierte Bindungen haben alle gemeinsam, dass sie durch Unsicherheit im Verhalten gegenüber der Bezugsperson gekennzeichnet sind, aber sie unterscheiden sich klar in den spezifischen Reaktionen des Kindes. Unsicher-vermeidende Kinder neigen dazu, die Bezugsperson zu meiden und wirken unabhängig, da sie gelernt haben, dass ihre emotionalen Bedürfnisse nicht zuverlässig erfüllt werden. Sie zeigen wenig Emotionen bei Trennung und Wiedervereinigung, obwohl sie innerlich gestresst sind. Unsicher-ambivalente Kinder verhalten sich genau gegenteilig: Sie klammern sich stark an die Bezugsperson, sind jedoch schwer zu beruhigen und zeigen Wut oder Widerstand, weil sie auf inkonsistente Reaktionen der Bezugsperson reagieren. Desorganisierte Kinder zeigen hingegen das auffälligste Verhalten: Ihre Reaktionen sind chaotisch, widersprüchlich und oft verwirrend, da sie die Bezugsperson sowohl als Quelle von Sicherheit als auch von Angst erleben. Sie können zwischen Nähe suchen und Zurückweichen schwanken, weil die Bezugsperson selbst eine Bedrohung darstellt oder emotional destabilisiert ist. Der Schlüssel zur Unterscheidung liegt also in den spezifischen Verhaltensmustern und der Art, wie das Kind seine Bindungsperson wahrnimmt – vermeidendes Verhalten zeigt Distanzierung, ambivalentes Verhalten Unsicherheit und Abhängigkeit, während desorganisiertes Verhalten chaotische und widersprüchliche Reaktionen widerspiegelt.

Eine unsichere Bindung kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden

  1. Mangelnde Reaktionsfähigkeit der Bezugsperson: Wenn eine Bezugsperson wiederholt nicht angemessen auf die Bedürfnisse des Kindes reagiert, kann dies zu Unsicherheit führen. Das Kind lernt, dass seine Bedürfnisse nicht zuverlässig erfüllt werden.

  2. Unvorhersehbarkeit und Inkonsistenz: Wenn Bezugspersonen unvorhersehbar reagieren – mal liebevoll, mal ablehnend – kann das Kind Schwierigkeiten haben, Vertrauen aufzubauen.

  3. Negatives Umfeld: Ein belastendes oder traumatisches Umfeld kann zu einer unsicheren Bindung führen, da das Kind nicht die notwendige emotionale Unterstützung erhält.

  4. Eigene Bindungs- oder Traumageschichte der Bezugsperson: Wenn die Bezugsperson selbst unsichere Bindungsmuster aus der eigenen Kindheit hat oder traumatische Erfahrungen gemacht hat, kann sich dies auf die Bindung zum eigenen Kind auswirken.

  5. Genetik und Temperament: Einige Kinder könnten aufgrund ihrer genetischen Veranlagung oder ihres Temperaments eher dazu neigen, unsichere Bindungen zu entwickeln.

Herausforderungen in Beziehungen

Die Auswirkungen unsicherer Bindungen auf unser Liebesleben können tiefgreifend sein und oft unbemerkt bleiben. Wenn es um die Suche nach einem Partner geht, kann eine unsichere Bindung unsere Entscheidungen, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen beeinflussen, oft auf subtile Weise. In der Tat kann es sogar dazu führen, dass wir potenziell grossartige Partnerschaften vermeiden oder bereits bestehende Beziehungen gefährden.

Der Rückzug vor Nähe: Menschen, die eine unsichere Bindung erlebt haben, könnten eine Tendenz entwickeln, sich vor emotionaler Nähe zurückzuziehen. Dies kann dazu führen, dass sie sich in neuen Beziehungen distanziert verhalten oder ihre wahren Gefühle nicht offen zeigen. Die Angst vor Verletzlichkeit und Enttäuschung kann dazu führen, dass sie sich in ihren Schutzpanzer zurückziehen, was wiederum potenzielle Partner abschrecken kann. Die Chance, einen tiefen emotionalen Zusammenhalt aufzubauen, wird so beeinträchtigt.

Selbstzweifel und Misstrauen: Unsichere Bindungen können auch zu Selbstzweifeln und einem tiefen Misstrauen gegenüber den Absichten eines Partners führen. Personen mit solchen Bindungsmustern könnten ständig daran zweifeln, ob sie wirklich geliebt werden oder ob ihr Partner bei der ersten Gelegenheit weglaufen wird. Diese Selbstzweifel können dazu führen, dass sie unbewusst nach Beweisen für Ablehnung suchen oder in jedem Verhalten des Partners eine vermeintliche Bedrohung für die Beziehung sehen.

Die Suche nach Bestätigung: Menschen mit unsicheren Bindungen könnten unbewusst nach ständiger Bestätigung und Aufmerksamkeit von ihrem Partner suchen. Dies kann dazu führen, dass sie übermässig bedürftig wirken und sich in der Beziehung erstickt fühlen könnten, wenn ihre Bedürfnisse nicht sofort erfüllt werden. Diese Verhaltensweisen könnten den Partner überfordern und zu Frustration führen, was wiederum die Beziehung belastet.

Vermeidung oder Verstärkung von Konflikten: Unsichere Bindungen könnten auch dazu führen, dass Konflikte und Unstimmigkeiten vermieden werden, um nicht die Bindung zu gefährden. Dies kann dazu führen, dass Probleme unter den Teppich gekehrt werden, anstatt sie offen anzusprechen und zu lösen. Auf lange Sicht können unausgesprochene Probleme jedoch zu einer Entfremdung und Unzufriedenheit in der Beziehung führen. Unsichere Bindungen können auch dazu führen, dass ein Partner negativen Absichten oder Motiven in den Handlungen des anderen vermutet. Kleinere Unstimmigkeiten werden möglicherweise als Zeichen dafür gesehen, dass der Partner desinteressiert oder untreu ist. Diese negativen Interpretationen führen oft zu einem Teufelskreis von Missverständnissen und Anschuldigungen, die den Konflikt verschärfen.

Wege zur Überwindung

  1. Selbstreflexion: Menschen mit unsicherer Bindung könnten von einer tiefen Selbstreflexion profitieren, um die Ursachen ihrer Ängste und Unsicherheiten zu verstehen. Die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit kann helfen, die Wurzeln dieser Muster zu erkennen und anzugehen.

  2. Therapeutische Unterstützung: Eine professionelle Therapie, wie z. B. Bindungstherapie oder kognitive Verhaltenstherapie, kann helfen, die negativen Denk- und Verhaltensmuster zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, um diese zu überwinden.

  3. Kommunikationstraining: Das Erlernen gesunder Kommunikationsfähigkeiten kann dazu beitragen, Konflikte zu minimieren und Bedürfnisse klarer auszudrücken. Paartherapie kann hierbei sehr nützlich sein.

  4. Geduld und Arbeit an sich selbst: Die Überwindung von unsicherer Bindung erfordert Zeit und kontinuierliche Anstrengungen. Sich auf persönliches Wachstum und Selbstliebe zu konzentrieren, kann dazu beitragen, gesündere Beziehungsmuster zu entwickeln.

Insgesamt ist es wichtig zu betonen, dass Menschen mit unsicherer Bindung nicht dazu verdammt sind, in Beziehungen ständig Probleme zu haben. Mit Bewusstsein, Selbstreflexion und Unterstützung können sie die Muster überwinden, die ihre Beziehungen belasten, und schliesslich erfüllende und dauerhafte Verbindungen aufbauen.

Es ist nie zu spät, sich auf den Weg der persönlichen und zwischenmenschlichen Entwicklung zu begeben.

Die Bindungstypen, die wir in der Kindheit entwickeln, prägen unser späteres Bindungsverhalten und beeinflussen, wie wir in Beziehungen agieren. Besonders der unsicher vermeidende Bindungstyp zeigt, wie tief verwurzelte Muster aus der Eltern-Kind-Beziehung das Vertrauen in Partnerschaften erschweren können.

Ob es die Mutter-Kind-Bindung oder andere frühe Bezugspersonen waren, sie prägen die Art und Weise, wie wir Nähe und Distanz erleben. Doch es ist wichtig zu verstehen, dass sich Bindungsstile ändern können. Durch das Bewusstsein über die eigenen Muster und die Arbeit an ihnen, sei es durch Reflexion oder therapeutische Unterstützung, können wir gesündere Beziehungen entwickeln.

Mit den richtigen Werkzeugen und Zeit lassen sich alte Verhaltensweisen transformieren, sodass neue, stabile Bindungen entstehen – es ist nie zu spät, die eigenen Daten neu zu schreiben und positive Veränderungen zu fördern.

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Geschrieben von Mara Schär

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