
Angst gehört zum Leben. Sie ist ein natürliches Gefühl, das uns schützt, vor Gefahren, Risiken oder bedrohlichen Situationen. Doch was, wenn die Angst plötzlich überhandnimmt? Wenn sie auftaucht, obwohl keine reale Bedrohung besteht? Wenn sie das Denken, Handeln und Fühlen lähmt?
Dann sprechen wir von Angststörungen, einer der häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. In diesem Artikel bekommst du einen verständlichen Überblick über das Thema, mögliche Ursachen, Symptome, Formen und Wege der Therapie.
Was sind Angststörungen?
Angststörungen sind mehr als „nur ein bisschen nervös“. Sie sind Angsterkrankungen, bei denen das Angstgefühl nicht mehr im Verhältnis zur Realität steht. Die Angst wird zum dauerhaften Begleiter, oft ohne erkennbaren Grund und sie beeinflusst das gesamte Leben.
Etwa jede*r fünfte Mensch in der Bevölkerung erlebt im Laufe des Lebens eine Angsterkrankung. Dabei sind Frauen häufiger betroffen als Männer.
Formen von Angststörungen
Die häufigsten Angststörungen sind:
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Spezifische Phobien: z. B. vor Spinnen, Höhe, Spritzen oder Gewitter.
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Soziale Phobie: Angst vor negativer Bewertung in sozialen oder leistungsbezogenen Situationen.
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Agoraphobie: Angst vor öffentlichen Plätzen oder Menschenmengen.
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Panikstörung: Wiederholte, plötzlich auftretende Angstanfälle ohne klaren Auslöser. Die Panikattacken haben körperlichen Symptomen wie Herzrasen, Schwitzen, Schwindel, Zittern oder Atemnot. Viele Betroffene fürchten die nächste Attacke, die sogenannte Angst vor der Angst.
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Generalisierte Angststörung (GAS): Andauernde, übermässige Sorgen über verschiedene Lebensbereiche (DSM-IV, zitiert in Angststörungen, S. 7–17).
Wie entsteht eine Angststörung?
Die Forschung geht heute von einem Zusammenspiel biologischer, kognitiver und lerntheoretischer Faktoren aus. Modelle wie das Zwei-Faktoren-Modell nach Mowrer (1939) und das Three-Pathway-Modell von Rachman (1977) beschreiben, wie Angst durch traumatische Erlebnisse erlernt und durch Vermeidung verstärkt wird. Auch genetische Prädispositionen und eine erhöhte Angstsensibilität spielen eine Rolle (Seligman, 1971; Ehlers & Margraf, 1989).
Beispielsweise beschreibt das kognitive Modell von Clark (1986), dass Betroffene körperliche Symptome (z. B. Herzrasen) falsch interpretieren und dies zu einer Spirale aus Angst und körperlichen Reaktionen führt, der sogenannte „Teufelskreis der Angst“ (McNally, 1994).
Wie fühlen sich Angststörungen an?
Angststörungen zeigen sich oft mit deutlichen körperlichen und seelischen Reaktionen:
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Herzrasen, Schwitzen, Zittern
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Nervosität, Unruhe, Anspannung
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Gefühl von Kontrollverlust oder „Ich werde verrückt“
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Rückzug aus dem sozialen Alltag
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Starke Unsicherheit in einfachen Situationen (z. B. im Auto, im Supermarkt oder sogar im eigenen Haus)
Viele Betroffene berichten, dass sie sich wie gelähmt fühlen, als ob ihr Körper in ständiger Alarmbereitschaft sei.
Panikattacken – wenn der Körper Alarm schlägt
Panikattacken zählen zu den intensivsten Angsterfahrungen und treten oft scheinbar aus dem Nichts auf. Typisch sind plötzlich einsetzende Symptome wie Atemnot, Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Brustenge oder das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden oder zu sterben. Was viele nicht wissen: Diese heftigen Reaktionen sind körperlich erklärbar, sie sind Ausdruck eines überaktivierten Stresssystems.
Im Gehirn wird in diesen Momenten die Amygdala, unser „Gefahrenradar“, überreizt, was eine Kaskade an Stressreaktionen im Körper auslöst. Der Sympathikus (Teil des autonomen Nervensystems) schaltet in den Notfallmodus: Herzschlag und Atmung beschleunigen sich, Muskeln spannen sich an, der Körper bereitet sich auf Flucht oder Kampf vor. Das "Problem": Es gibt keine reale äussere Gefahr. Die Reaktion ist unangemessen stark oder fehlgeleitet, oft ausgelöst durch eine unterschwellige Anspannung, überfordernde Gedanken oder körperliche Zustände wie Erschöpfung.
Laut neueren Studien (z. B. Gerlach et al., 2019; Schaeuffele & Hamm, 2022) spielen chronischer Stress, unterdrückte Emotionen oder nicht verarbeitete Belastungen eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Panikattacken. Unser Körper speichert Stress, neurobiologisch betrachtet über das vegetative Nervensystem , und dieser „aufgestaute“ Stress kann in bestimmten Situationen wie aus dem Nichts entladen werden.
Auch körperliche Auslöser wie eine zu schnelle Atmung, Blutzuckerabfall oder hormonelle Schwankungen können Panikattacken begünstigen.
Viele Betroffene berichten, dass Panikattacken sogar bei kleinster körperlicher Anstrengung entstehen, etwa beim Treppensteigen oder Einkaufen. Deshalb ist es essentiell, zuerst alle körperlichen Ursachen ärztlich abzuklären, bevor man von einer psychischen Ursache spricht. Erst wenn Herzprobleme, Stoffwechselerkrankungen oder neurologische Störungen ausgeschlossen wurden, kann eine Diagnose wie „Panikstörung“ in Betracht gezogen werden.
Was hilft im Akutfall? Das Wichtigste ist, den Kreislauf der Angst zu durchbrechen:
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Langsam und tief in den Bauch atmen (z. B. 4 Sekunden ein – 6 Sekunden aus)
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Den Fokus nach aussen lenken: Was sehe ich? Was höre ich?
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Sätze innerlich wiederholen wie: „Ich bin in Sicherheit“, „Es ist nur Angst, sie geht vorbei.“
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Bewegung oder Drucktechniken (z. B. Eiswürfel halten, kräftig in den Boden treten) können helfen, sich zu regulieren
Laut aktuellen psychologischen Modellen (z. B. Clark, 2021) ist es entscheidend, frühzeitig Bewältigungsstrategien zu erlernen, um eine Chronifizierung der Panikattacken zu vermeiden. Therapieformen wie kognitive Verhaltenstherapie, Achtsamkeitstraining oder Körperarbeit (z. B. Somatic Experiencing) zeigen in vielen Studien positive Wirkungen.
Woher kommt die Angst? Ursachen und Auslöser
Die Ursachen von Angststörungen sind vielfältig und oft individuell. Häufig spielen mehrere Faktoren zusammen:
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Stress, Überforderung oder traumatische Erlebnisse
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Familiäre Veranlagung oder genetische Komponenten
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Veränderungen im Gehirnstoffwechsel
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Ungelöste emotionale Konflikte
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Erziehungsstile, frühe Verlusterfahrungen oder hohe Erwartungen
Auch körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder hormonelle Störungen können eine Rolle spielen.
Wann wird Angst zur Krankheit?
Angst wird zur Störung, wenn sie:
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über Wochen oder Monate anhält
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in keinem Verhältnis zur realen Gefahr steht
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den Alltag stark einschränkt
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zu Vermeidungsverhalten, sozialem Rückzug oder Schlafproblemen führt
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körperliche Beschwerden auslöst, für die kein medizinischer Grund gefunden wird
Wenn du dir unsicher bist, ob du betroffen bist, kann ein Selbsttest (z. B. auf vertrauenswürdigen Gesundheitsportalen) erste Hinweise geben. Dennoch: Eine genaue Diagnose sollte immer durch eine:n Arzt oder Therapeut:in gestellt werden.
Der Weg zur Diagnose
Viele Patienten zögern, sich Hilfe zu holen. Sie haben Angst, nicht ernst genommen zu werden oder als „schwach“ zu gelten. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Den ersten Schritt zu machen, ist ein Akt von Stärke.
Ein guter Start ist ein Gespräch mit dem Hausarzt. Von dort aus kann die Überweisung zu Spezialisten wie Psycholog:innen, Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen erfolgen.
Therapie: Was hilft gegen Angst?
Die wirksamsten Therapieformen bei Angststörungen sind:
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Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): Umstrukturierung negativer Denkmuster.
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Expositionstherapie: Konfrontation mit den angstauslösenden Reizen (in vivo oder in sensu).
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Entspannungstechniken: Progressive Muskelentspannung, Atemübungen, Applied Tension.
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Medikamentöse Behandlung: Bei schweren Fällen mit Antidepressiva oder Anxiolytika (Ehlers & Margraf, 1989; Borkovec, 2000).
Was du selbst tun kannst: Tipps für den Alltag
Sprich darüber: Tausche dich mit vertrauten Menschen aus. Allein das Teilen deiner Sorgen kann entlasten.
Bleib in Bewegung: Regelmässiger Sport wirkt wie ein natürlicher Stresskiller.
Vermeide Alkohol & Koffein: Diese Stoffe können Angstzustände verstärken.
Schreibe deine Gedanken auf: Das hilft, Abstand zu gewinnen und Muster zu erkennen.
Baue tägliche Routinen auf: Sie geben deinem Tag Struktur und deinem Kopf Ruhe.
Angst ist behandelbar – du bist nicht allein
Es ist wichtig zu verstehen: Jeder kann betroffen sein. Angststörungen treffen nicht nur „Schwache“ oder sensible Menschen. Sie sind weit verbreitet, und behandelbar!
Schätzungen zufolge leiden mehrere Millionen Menschen allein in Deutschland und in der Schweiz an Angsterkrankungen. Du bist also weder komisch noch alleine. Es gibt Hilfe, Wege, Lösungen.
Angst darf da sein – aber sie muss dich nicht beherrschen
Angststörungen sind ernstzunehmende Erkrankungen, die das Leben stark beeinflussen können. Aber sie sind auch ein Signal, ein Hinweis darauf, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Wenn du betroffen bist: Du musst nicht warten, bis „es besser wird“. Du kannst aktiv werden, Klarheit finden und dir Unterstützung holen. Es gibt viele Wege, und du darfst sie in deinem Tempo gehen.
Der erste Schritt ist oft der schwerste. Aber er ist auch der wichtigste.
Wenn du dir Unterstützung im Umgang mit Ängsten wünschst, kann Coaching eine hilfreiche Begleitung sein, insbesondere, um deine Denkmuster besser zu verstehen, deine Selbstwirksamkeit zu stärken und konkrete Strategien für den Alltag zu entwickeln. Bitte beachte jedoch: Coaching ist kein Heilversprechen und ersetzt keine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung. Eine fundierte Diagnostik und Therapie bei einem Facharzt, Psychiater oder Psychotherapeuten ist unerlässlich, wenn die Ängste stark belastend sind oder deinen Alltag beeinträchtigen. Coaching kann ergänzend wirken und dich dabei unterstützen, aktiv Schritte in Richtung Stabilität und Selbstvertrauen zu gehen. In meinem Workbook findest du erste Übungen, Reflexionsfragen und praktische Tools, die dir helfen können, deine Ängste besser zu verstehen und gezielt daran zu arbeiten.
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Quellenangaben:
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Ehlers, A., & Margraf, J. (1989). Kognitive Modelle der Panikstörung. Verhaltenstherapie & Verhaltensmedizin.
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McNally, R. J. (1994). Panic Disorder: A Critical Analysis. Guilford Press.
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Mowrer, O. H. (1939). A stimulus–response analysis of anxiety and its role as a reinforcing agent. Psychological Review, 46(6), 553–565.
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Rachman, S. (1977). The conditioning theory of fear-acquisition: A critical examination. Behaviour Research and Therapy, 15(5), 375–387.
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Seligman, M. E. P. (1971). Phobias and preparedness. Behavior Therapy, 2(3), 307–320.
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Clark, D. M. (1986). A cognitive approach to panic. Behaviour Research and Therapy, 24(4), 461–470.